ADHS und der tägliche Umgang mit Geld

ADHS-Erwachsene bzw. Familien verlieren leichter den Überblick über ihre Finanzen. Das kann zu erheblichen Beeinträchtigungen im Alltag führen. Kirstin Wulf bietet zusammen mit der Schuldner- und Insolvenzberatung Julateg Finsolv Lichtenberg e. V wöchentliche Termine für Menschen mit ADHS und finanziellen Problemen an. Denn oft mangele es nicht an einem Wissens-, sondern einem Umsetzungsdefizit. Wir haben mit Kirstin Wulf gesprochen.

Kirstin, Du hast 2012 Deine Initiative bricklebrit | Eltern. Kinder. Geld. gegründet. Du bist seitdem als Über-Geld-Sprecherin vor allem im familiären Umfeld unterwegs, wo es um den täglichen Umgang mit Geld geht.

Ja, denn das Tabu, nicht über Geld zu sprechen, ist im privaten Umfeld nach wie vor präsent. Obwohl es gerade im täglichen und vertrauensvollen Miteinander wichtig wäre, Kinder früh einzubinden. Spielerisch und aus der Kind-Perspektive. Aber über diesen wichtigen Lebensbereich wird mehr geschwiegen als gesprochen, es wird vermieden statt gehandelt. Ob das Vorbehalte, Unsicherheiten oder echter Unwillen sind: Fakt ist, das Tabu schreibt sich von Generation zu Generation fort. Kinder erfahren nicht in ausreichendem Maße, wie viel das Leben kostet oder wie sie als Erwachsene ihre finanziellen Angelegenheiten regeln können oder gar sollten. Geld ist überall ein hoch emotionales Thema. Das verhindert genau die Art von Inhaltsvermittlung, die uns ansonsten so wichtig ist.

Ich baue Hürden dieser Art mit kommunikativen und kreativen Mitteln ab. Was übrigens sehr schnell gelingen und unmittelbar zu vielen kleinen und großen Erfolgen führen kann.
Ich liebe diese Arbeit, sie ist wichtig und überaus befriedigend.

Seit diesem Jahr hast Du Dein Engagement um ein wichtiges Projekt erweitert. Es geht um Menschen mit ADHS.


Das stimmt. Begonnen haben wir in Berlin, wo ich zusammen mit der Schuldner- und
Insolvenzberatung Julateg Finsolv Lichtenberg e. V. wöchentlich digitale Termine für
Menschen mit ADHS und/oder Schulden aus dem Bezirk Lichtenberg anbiete.
Ziel für alle, die sich von zu Hause aus zuschalten, ist das eigenständige Abarbeiten von
Geld- und Finanzdingen. So treffen sich im virtuellen Arbeitszimmer alle mit ähnlichen
Herausforderungen. Erfahrungen werden offen geteilt, eine große Bereicherung für alle –
als konkrete Hinweise oder als gute Bespiele.

Dazu hat hier das Versteckspiel mit den eigenen Defiziten ein Ende – das erleben viele als
große Erleichterung. Sie merken: Anderen geht es genauso. Schuld- und Schamgefühle
werden kleiner und das Gefühl der Selbstwirksamkeit kann langsam zunehmen.
Das Format ist allerdings mehr als eine klassische Selbsthilfegruppe. In meiner Funktion
als Moderatorin ist es mir möglich, fachliche, methodische oder gar emotionale Impulse
zu setzen. So können als schwierig empfundene Aufgaben erfolgreich angegangen und
abgeschlossen werden. Meist sind sie inzwischen dringlich, weil sie viel zu lange
aufgeschoben wurden.

Insgesamt fällt es allen Teilnehmenden auf diese Art sehr viel leichter, sich um ihre
finanziellen Angelegenheiten zu kümmern. Genau das wollen wir mit diesem Format
erreichen.

Inwieweit spielt die Disposition ADHS eine Rolle? Das hört sich doch eigentlich so an, als ob andere Menschen ebenfalls von solchen Arbeitsräumen profitieren könnten.


Absolut! Vielen Menschen fällt es schwer, sich regelmäßig und konsequent um ihre
privaten Finanzen zu kümmern. Und auch um ganz andere To-dos, auf die man keine Lust
hat. Virtuelle Gruppenangebote können bestehende gut ergänzen.

Der besondere Fokus liegt bei uns allerdings nicht allein auf der Gemeinschaft. Was diese
Personengruppe benötigt, ist die punktgenaue Unterstützung bei der Initiierung von
Aufgaben. Beim regelmäßigen Dranbleiben und bei der konsequenten Fertigstellung.
Gutgemeinte Handlungsempfehlungen für die heimische Umsetzung laufen regelmäßig
ins Leere.

Warum ist das so?


Es gibt zu nahezu jedem Thema hunderte von Ratgebern. Theoretisch müssten alle
Menschen alles können, wenn sie nur diese Bücher lesen. Aber gerade Menschen mit
ADHS haben die Schwierigkeit, mit Aufgaben zu beginnen, sie über längere Zeiträume zu
verfolgen und zu Ende zu bringen. Was von außen wie Faulheit, Desinteresse,
Unwissenheit oder mangelnde Disziplin aussieht oder einer suboptimalen Sozialisation
zugeschrieben wird.

Tatsächlich handelt es sich um mitunter schwer messbare Defizite bei der Steuerung und
Kontrolle des eigenen Verhaltens. Der Unmöglichkeit, ein konkretes Ziel zu erreichen. Das
ist keine Faulheit, sondern eine Art Beeinträchtigung im Gehirn. Für ein erfolgreiches
Handeln im täglichen Umgang mit Geld braucht es für diese Personengruppen
Begleitangebote, die auf dem Wissen der Hirnforschung und Neuropsychologie aufbauen.
Die gute Nachricht: Das geht! Die schlechte: Ohne kann es weiterhin zu lauter
individuellen Katastrophen führen.

Wie bist Du auf das Thema gestoßen?

Ich bin seit 2012 im Bereich der Finanzbildung tätig. Dabei ist mir aufgefallen, dass es viel
mehr Umsetzungs- als Wissensdefizite gibt. Seit ich vor einigen Jahren selbst mit ADHS
diagnostiziert wurde, habe ich bei Recherchen herausgefunden, dass Studien belegen
konnten, dass für Menschen mit ADHS ein hohes Risiko besteht, im Verlaufe des Lebens
signifikante Probleme im Umgang mit Geld zu entwickeln.

Diese Ergebnisse sind hierzulande weitgehend unbekannt. Auch bei den Menschen selbst.
Daran muss sich etwas ändern! Wir sind in der Pflicht, bestehende Angebote zu
überprüfen und zu erweitern.

Wie können sich Interessierte mit Dir in Verbindung setzen?

Ich freue mich über jede Nachricht an info@bricklebrit.net.
Ich melde mich auf jeden Fall zurück, auch wenn es mal ein paar Tage dauert. Ich bin sehr
an einem Austausch mit anderen interessiert.

Vielen Dank für das Gespräch, Kirstin!


Ich danke auch 🙂