„Ich hatte in der Schule oft das Gefühl, dass Geld ein Tabuthema ist“

Die Eltern von Sagithjan Surendra flüchteten vor dem Bürgerkrieg auf Sri Lanka und bauten sich als tamilische Einwanderer in Nürnberg ein neues Zuhause auf. Die finanziellen Mittel waren beschränkt.

Klassenfahrten, Sportvereine oder Essen mit Freunden gehörten nicht zu Sagithjans Alltag. Aber er ist wissbegierig und talentiert. Das Abitur meister er mit Bravour, um dann den Traum von einem Studium zu verwirklichen.

Ganz nebenbei gründete er mit 18 Jahren ein Förderwerk für benachteiligte Jugendliche: das Aelius Förderwerk. Der Verein organisiert Workshops und ein Mentor:innenprogramm für benachteiligte Jugendliche.  

Mittlerweile ist er nicht nur Gründer und CEO, sondern auch Speaker und Student des Jahres 2020.

Mehr zu seiner Geschichte, dem Engagement für mehr Bildungsgerechtigkeit und dem Aelius-Förderwerk, erfahrt ihr in diesem Interview.

Wie stark bestimmen finanzielle Umstände die Zukunft von jungen Menschen?

Ich finde, dass finanzielle Umstände einer der stärksten Faktoren sind, die die Zukunft junger Menschen bestimmen. Obwohl Schulbildung in Deutschland prinzipiell kostenlos ist, sind viele Angebote in der Schule, außerschulische Angebote oder kulturelle Bildung schlichtweg von Geld abhängig. Dass man am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann, sollte nicht von finanziellen Umständen abhängen. Gerade während der Pandemie als die Diskussion um die digitale Ausstattung, Platz zum ruhigen Lernen u.v.m. ausbrach, hat man finde ich gesehen wie stark doch die Auswirkungen finanzieller Umstände sein können.

Wie war es bei dir?

Ich bin unter prekären finanziellen Verhältnissen aufgewachsen, sodass für mich viele Dinge wie Klassenfahrten, Essen mit den Freunden, Fußball, Musikunterricht und derlei Aktivitäten, die für andere teilweise als selbstverständlich galten eine große Herausforderung oder schlichtweg unmöglich waren. Je älter ich wurde, desto mehr ist mir auch aufgefallen wie sehr meine Eltern damit zu kämpfen hatten, dass unser (mein Bruder und ich) Leben immer teurer wurde, wir mehr unternehmen wollten und dass es manchmal einfach nicht möglich war. Gerade wenn es dann um meine Zukunft ging, stand die Frage der Finanzierung im Raum. Deshalb war studieren für mich lange auch keine realistische Option.

Ist das Thema Geld noch ein Tabuthema? (Bei Freunden, in der Schule, in der Familie)?

Ich hatte in der Schule oft das Gefühl, dass Geld ein Tabuthema ist – wahrscheinlich auch, weil mir das Thema unangenehm war, da es mir die Diskrepanz zwischen mir und meinen Mitschüler:innen aufgezeigt hat. Heute weiß ich, dass es wichtig ist darüber zu sprechen und Möglichkeiten und Unterstützung aufzuzeigen, weshalb sehr offen mit dem Thema Geld umgehe. Gleichzeitig begleitet mich das Thema natürlich auch weiterhin. Gerade als Student sind finanzielle Herausforderungen weiterhin ein konstanter Teil des Lebens.

Was würdest du dir wünschen?

Ich würde mir zum einen wünschen, dass wir gesamtgesellschaftlich mehr Sensibilität zeigen würden was soziale und finanzielle Herkunft betrifft. Dass wir bei der Gestaltung gesellschaftlicher Angebote und Bildung mitdenken, dass sie für alle zugänglich sein sollte. Gleichzeitig denke ich, dass gerade finanzielle Bildung in der Schule viel zu kurz kommt. Ehrlich gesagt wusste ich nach der Schule kaum etwas über Geld, wie man verantwortungsvoll damit umgeht, wie man spart, dass Aktien auch für Privatpersonen eine Geldanlage sind und vieles mehr. Alles was ich heute weiß hab ich quasi YouTube zu verdanken und nicht der Schule.

Wie kam es zum Aelius Förderwerk?

Als ich mit der Schule fertig war, ist mir aufgefallen, dass ich nicht der einzige war, der ähnliche Erfahrungen auf dem Bildungs- und Lebensweg gemacht hat, aber es wenig Unterstützungsmöglichkeiten und Förderangebote gab. Gerade als mein Studium begann, sind für mich zwei Lebenswelten kollidiert. Ich habe so viele Studierende kennengelernt, deren Eltern schon studiert haben, für die Studienfinanzierung überhaupt kein Thema war und dass es unglaublich viele Stipendien und Förderangebote gibt. Ich habe mir gewünscht, dass es so etwas auch für Schüler:innen geben sollte, um z.B. überhaupt erstmal den Hochschulzugang zu ermöglichen. Aus dieser Motivation heraus habe ich direkt zu Beginn meines Studiums versucht, diese Idee umzusetzen – und so ist Aelius entstanden.

Was ist das Ziel?

Unser Ziel ist es, dass Kinder und Jugendliche ihren Bildungs- und Lebensweg selbstbestimmt gestalten können – unabhängig von sozialen und finanziellen Umständen. Wir möchten, dass alle jedem Traum nachgehen können und möchten ihnen einen Safe-Space bieten, wo sie ihre Herausforderungen teilen, über ihre Erfahrungen gemeinsam reflektieren und sich gehört fühlen können. Vor allem unsere Mentor:innen sind dabei nicht nur vertrauensvolle Ansprechperson, sondern auch Mutmacher:innen.

Mittlerweile bist du Gründer, CEO und Speaker und der erste aus der Familie, der studiert. Wie hat sich der Weg dorthin angefühlt?

Für viele liest sich dieser Weg als tolle Aufstiegsgeschichte, aber man muss sich vor Augen führen, dass es ein Ausnahmefall ist. Ich vergleiche soziale Mobilität in Deutschland gerne mit dem Lotto-Spiel. Prinzipiell hat jeder die Chancen zu gewinnen, aber nicht alle. Ich fühle mich bis heute als Mittler zwischen zwei Welten. Die Welt, in der ich aufgewachsen bin und die Welt, in die ich hineingewachsen bin. Vieles in der akademischen oder beruflichen Welt fühlt sich für immer noch sehr fremd an – einfach weil ich mit einem völlig anderen Habitus aufgewachsen bin. Gleichzeitig merke ich auch, dass dieser Weg auch mit einer gewissen Entfremdung mit der eigenen Lebensrealität und der Welt in der man aufgewachsen ist einhergeht. Viele aus meinem Umfeld mit denen ich aufgewachsen bin und noch wichtiger meine Eltern, können heute kaum nachvollziehen was ich genau mache oder wie ich Entscheidungen treffen, weil meine Lebensrealität heute sehr anders ist zu der, die sie kennen.

Vielen Dank für das Interview und deinen authentischen Einblick!

Mehr zum Aelius Förderwerk erfahrt ihr hier!