Zwischen Schulden und Gefängnis: die Realität der Zahlungsunfähigen

In der heutigen Gesellschaft wird das Gefängnis oft als Ort betrachtet, an dem Straftäter:innen ihre gerechte Strafe erhalten und sich resozialisieren sollen. Doch hinter den Gefängnismauern verbirgt sich ein viel komplexeres Problem, das sich wie ein roter Faden durch das Leben mancher Insassen zieht: Armut! Manche Menschen landen nämlich aufgrund ihrer prekären finanziellen Situation im Gefängnis, wodurch sich ihre Lage weiter verschärft.

Dahinter steckt die Praxis der „Ersatzfreiheitsstrafe“ (EFS). Diese wird verhängt, wenn eine Geldstrafe nicht bezahlt werden kann. Die Verurteilten müssen für eine bestimmte Zeit ins Gefängnis, abhängig von der Höhe der Strafe.

Diese Form der Bestrafung ist äußerst umstritten. Kritiker:innen argumentieren, dass sie eine unverhältnismäßig hohe Belastung für Menschen mit geringem Einkommen darstellt und letztendlich zu einer weiteren Verschärfung der Armutssituation führt.

Eine wissenschaftliche Untersuchung* belegt, dass 77 % vor Antritt der EFS arbeitslos waren, 60% keinen Beruf erlernt hatten und jede/r zehnte EFS-Gefangene Schulden von mehr als 20.000 Euro hatte. Im Juni 2022 saßen etwa 4.400 Menschen wegen einer EFS im Gefängnis. Die jährliche Anzahl vollstreckter Ersatzfreiheitsstrafen wird in keiner offiziellen Statistik erfasst. Diese Zahlen verdeutlichen jedoch, dass die Inhaftierung aufgrund von Armut ein häufiges Phänomen ist. Eine EFS betrifft vor allem Menschen, die eine Geldstrafe z.B. für Schwarzfahren in Bus und Bahn nicht bezahlen können.

Befürworter:innen der EFS argumentieren hingegen, dass sie als abschreckende Maßnahme dient und die Ernsthaftigkeit der begangenen Straftaten unterstreicht. Die EFS soll sicherstellen, dass auch Menschen mit geringem Einkommen die Strafen nicht einfach ignorieren können.

Die Gründe, warum Menschen in Armut geraten und in Folge dessen vielleicht im Gefängnis landen, sind vielfältig. Oft sind es soziale und ökonomische Benachteiligungen, die den Betroffenen von Anfang an weniger Chancen im Leben bieten. Bildungsungleichheit, Arbeitslosigkeit, fehlende Perspektiven und prekäre Wohnverhältnisse sind nur einige der Faktoren, die dazu beitragen können, dass Menschen in die Kriminalität abdriften. Hinzu kommen häufig Suchtprobleme, die als verzweifelte Suche nach einem Ausweg aus der Armut entstehen können. Einmal im Gefängnis, stehen die Insassen vor einer weiteren Hürde: Nach der Haftentlassung ist es für sie oft schwer, wieder Fuß zu fassen und ein geregeltes Leben zu führen. Sie geraten in eine Abwärtsspirale, in der Armut und Straffälligkeit sich gegenseitig verstärken. Die Wahrscheinlichkeit, nach einer Haftentlassung erneut straffällig zu werden, ist deutlich höher. Eine angemessene Unterstützung für die Reintegration in die Gesellschaft könnte hier gegebenenfalls Abhilfe leisten.

Armut als Inhaftierungsgrund hat weitreichende Auswirkungen, nicht nur auf das Leben der Betroffenen, sondern auch auf die Gesellschaft als Ganzes. Ersatzfreiheitsstrafen verursachen meist höhere Kosten als die eigentlich fällige Geldstrafe. Ein Tag im Gefängnis kostet zwischen 98 und 188 Euro, denn neben Unterbringung, Verpflegung und medizinischer Versorgung steht auch der personelle Aufwand, der für die Betreuung und Bewachung der Insassen erforderlich ist.

Im Vergleich dazu wäre es häufig kostengünstiger, alternative Maßnahmen zu ergreifen, um die Geldstrafen einzutreiben oder die Verurteilten bei der Begleichung der Strafe zu unterstützen. Zugang zu finanzieller Bildung, Schuldnerberatung oder gemeinnützigen Arbeit würden dazu beitragen, dass Geldstrafen tatsächlich gezahlt werden können und die Gesellschaft insgesamt weniger finanziell belastet wird.

Eine frühzeitige Intervention, um gefährdete Menschen vor dem Abdriften in die Straffälligkeit zu bewahren, ist von entscheidender Bedeutung. Auch nachdem das Bundeskabinett am 21.12.2022 eine Reform der EFS beschlossen hat, der die Dauer der tatsächlich vollstreckten Haftstrafe halbiert, bleibt noch viel zu tun.

(Finanzielle) Perspektiven schaffen

Wenn Sie Sozialarbeiter:innen oder Mitarbeiter:innen in einer Schuldnerberatungsstelle sind, die mit jugendlichen Insassen und ehemals straffälligen Jugendlichen arbeiten, möchten wir Sie ermutigen, sich bei unserer Stiftung Deutschland im Plus zu melden. Mit unseren Workshops und Unterrichtsmaterialien wollen wir jungen Menschen grundlegende finanzielle Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln und ihnen so Werkzeuge an die Hand geben, ihre Finanzen zu managen, Schuldenfallen zu vermeiden und einen Neuanfang zu meistern.

Gemeinsam können wir dazu beitragen, dass finanzielle Bildung zu einem integralen Bestandteil der Resozialisierung von jugendlichen Insassen und ehemals straffälligen Jugendlichen wird und somit Armut und Straffälligkeit nicht länger Hand in Hand gehen. Lassen Sie uns zusammenarbeiten, um den Betroffenen eine bessere Zukunft zu ermöglichen.

Autorin: Mirjam Messingschlager

* Wirth, W. (2000). Ersatzfreiheitsstrafe und „Ersatzhausarrest “. Ein empirischer Beitrag zur Diskussion um die Zielgruppen potentieller Sanktionsalternativen. ZfStrVo, 337. Wirth, Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe, Ersatzfreiheitsstrafe oder „Ersatzhausarrest“?, 2000, 337 -344.

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