„Wir sind keine Amtspersonen, sondern Freiwillige, haben viele ähnliche
Erlebnisse und hatten die gleichen Sorgen“
Den Referent:innen kommt im Bereich der finanziellen Bildung eine ganz besondere Bedeutung zu. Das gilt insbesondere bei den Geflüchteten und unserem peer-to-peer-Programm. Keiner versteht die Sorgen, die Situationen und all die Herausforderungen rund um das Thema Geld besser, als jemand, der es selbst erlebt hat.
In Tübingen gibt es ein ganz besonderes Modell. Hier arbeiten der Jugendmigrationsdienst und die Jugend-Schulden-Beratung eng zusammen und unterstützten die Referent:innen bei der Arbeit in der Gemeinschaftsunterkunft. Wir haben mit Referentin Sara gesprochen.
Warum engagierst du dich für die finanzielle Bildung von Geflüchteten?
Wenn man aus seinem Land flieht, denkt man nur darüber nach, wie man sich in Sicherheit bringen kann. Sobald man in Sicherheit ist, sind schon einige Jahre vergangen. Man muss Vieles nacharbeiten und von vorne anfangen. Dazu muss man sich in vielen (Lebens-
)Bereichen neubilden lassen, die parallel und rasch miteinander laufen. Die finanzielle Bildung
ist eines der wichtigsten Bildungsarten, da diese eine bessere Lebensgestaltung ermöglicht;
vor allem dann, wenn wenig Geld vorhanden ist. In diesem Fall machen minimale Fehler eine massive Änderung. Ich engagiere mich für die finanzielle Bildung, da ich selbst darin Erfahrungen habe, wie die finanzielle Situation für einen Neuankömmling aussieht. Ich
versuche mit meinen Kenntnissen und mit Hilfe der Schulungen/ Gespräche und Begleitung
des JMD-Teams, Geflüchtete in der Gemeinschaftsunterkunft zu helfen und Ratschläge für die ersten Schritte in Deutschland zu geben.
Wie ist euer Angebot genau aufgebaut?
Die Initiative für das Angebot in der Geflüchtetenunterbringung ging von Mitarbeitern der Jugendschuldnerberatung Tübingen und des Jugendmigrationsdienstes Tübingen aus. Der Jugendmigrationsdienst koordiniert und organisiert inzwischen die peer-to-peer-Angebote und steht uns als Ansprechpartner immer zur Verfügung. Eine Mitarbeiterin des JMD ist auch
immer in der Unterkunft mit dabei. Auch bei Problemen und fachlichen Fragen können wir die JMD-Mitarbeiter ansprechen. Die Jugendschuldnerberatung unterstützt uns besonders mit ihren Fachkenntnissen zum Thema Schulden bei der inhaltlichen Gestaltung der Abende.
Was waren deine eigenen Erfahrungen beim Ankommen in Deutschland?
Als ich mit meiner Familie nach zwei Jahren Aufenthalt in Stuttgart nach Tübingen umgezogen bin, musste ich mich mit vielen Themenbereichen auseinandersetzen. Ohne Sprache ist man in einem neuen Land verloren; die sich von dem Herkunftsland unterscheidenden Regelungen führen zu vielen Verwirrungen. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Man schätzt bspw. den
Unterschied der Energiekosten schlecht ein, bis man am Jahresende, ohne damit gerechnet zu haben, eine große Rechnung bekommt. Die große Anzahl der Internet- / Stromanbieter und die Antragsregelungen in Deutschland sind sehr komplex. Ich habe dafür immer viel Zeit investiert und viele Fragen gestellt, um zu verstehen, wie ich alles am besten machen kann.
Nichtsdestotrotz bin ich ab und zu in unterschiedliche Probleme geraten.
Welche Vorteile hat, wenn du und die anderen aus eurem Team als Referent:innen auftreten?
Schon bei der ersten Begegnung und bei der ersten Veranstaltung in der Gemeinschaftsunterkunft hat sich zwischen unserem Team und den Heimbewohnern Vertrauen aufgebaut. Wir sind keine Amtspersonen, sondern Freiwillige, haben viele ähnliche
Erlebnisse und hatten die gleichen Sorgen. Sie haben sich verstanden gefühlt und all ihre aktuellen Probleme rausgelassen.
Welche Herausforderungen gibt es?
Es ist schwer bei allem zu helfen, es gab auch komplizierte Themen. Es fiel uns gleichzeitig auch schwer, ihnen zu sagen, dass wir leider nicht alle Themen behandeln können. Ich finde es aber immer schön, dabei zu sein und unterstützen zu dürfen.
Was war dein schönes Erlebnis?
Ein sehr schönes und unvergessliches Erlebnis war, als ich mit Annika, einer Mitarbeiterin des JMD, eine Präsentation über die erste Wohnung in Deutschland und worauf man achten sollte, vorbereitet habe. Ich habe allerdings gedacht, dass Annika die Präsentation hält und ich nur beim Dolmetschen helfe. Der Plan war jedoch, dass ich die Präsentation halte und sie mich bei
Unklarheiten unterstützt. Dies hat mein Selbstbewusstsein gestärkt, denn trotz weniger Vorbereitung und durch viel Motivation konnte ich den Vortrag halten. Die Zuhörer waren auch sehr konzentriert, offen und haben Fragen gestellt.
Das Arbeiten im peer-to-peer-Projekt zusammen mit JMD und Jugendschuldenberatung gibt uns das Gefühl, dass wir Teil des Teams sind. Dies stärkt unsere Zusammenarbeit und entwickelt unser Projekt weiter.
Vielen Dank für das Interview und danke für dein Engagement.
Auch Interesse als Referent:in aktiv zu werden? Dann melde dich bei uns. Wir suchen bundesweit Referent:innen für Schulen, Wohngruppen oder Einrichtungen für Geflüchtete.